KREUZLINGEN. Seit zwei Jahren können Kinder in Kreuzlingen den Islamunterricht besuchen. Eine externe Stelle hat alle Beteiligten befragt und stellt dem Pilotprojekt ein gutes Zeugnis aus. Der Unterricht sei transparent und soll weitergeführt werden.

SEVERIN SCHWENDNER

 

Vor zwei Jahren wurde in Kreuzlingen ein für die Ostschweiz einmaliges Projekt gestartet: Die Primarschulgemeinde bewilligte ein auf drei Jahre angesetztes Pilotprojekt zur Erteilung von Islamunterricht an der Volksschule. Mittlerweile unterrichtet der Imam der albanischen Moschee in Kreuzlingen, Rehan Neziri, im dritten Jahr. Und das Interesse am Islamunterricht ist gross. «Von den 102 als muslimisch registrierten Kindern besuchen aktuell 77 den Islamunterricht.»

 

Evaluation von aussen

Doch zieht ein Beobachter von aussen ebenfalls eine positive Bilanz? Zur Beantwortung dieser Frage wurde eine externe Evaluation in Auftrag gegeben, die jetzt von Tina Wodiunig präsentiert wurde. Sie sagte: «Der Blick von aussen bietet die Chance, dass blinde Flecken entdeckt werden, welche die direkt Beteiligten übersehen.» Wodiunig basierte ihre Aussagen auf umfangreichen Befragungen der Beteiligten: der Kinder im Unterricht, der Eltern, des Imams sowie des Lehrkörpers der beteiligten Schulen. Die Auswertung dieser Umfragen habe ergeben, dass der Islamunterricht seine Ziele erreicht – Wodiunig ortete aber auch einige Punkte, die verbessert werden können.

«In allen Interviews wurde betont, wie sehr sich die Eltern muslimischer Kinder durch den Unterricht akzeptiert fühlen», fasste Wodiunig zusammen. «Dass ihre Kinder nun auch Religionsunterricht besuchen können, ist für sie sehr wichtig.» Allerdings seien die Eltern durchaus anspruchsvoll und kritisch. «Sie stellen hohe Anforderungen an den Lehrer, was Sprache, Wissen und didaktische Kenntnisse anbelangt», sagte Wodiunig. «Und sie sind gegen jede Form von Extremismus, sie wollen auch keine Verhaltensregeln für den Alltag.»

 

Lehrer wenig interessiert

Verbesserungspotenzial ortet Wodiunig an den Schulen selbst. «Die Lehrpersonen stehen dem Unterricht positiv gegenüber – interessieren sich aber nicht wirklich für ihn.» Dabei biete der Imam an der Schule eine einmalige Chance. «Es ist dadurch sehr einfach, ein Problem im Korridor anzusprechen.» Entsprechend habe Rehan Neziri bereits mehrmals als Vermittler bei Konflikten gewirkt. «Hier sollten noch mehr Anstrengungen unternommen werden», empfiehlt Wodiunig. Damit der Islamunterricht besser integriert werde. Eine zeitgleiche Durchführung des christlichen und muslimischen Religionsunterrichts wäre eine Möglichkeit. «So würden sich die Lehrpersonen eher treffen und austauschen.»

 

Rehan Neziri entscheidend

Für das positive Urteil zum Islamunterricht sei Imam Rehan Neziri entscheidend. Er werde von allen Beteiligten als wichtige Integrationsfigur wahrgenommen und verfüge über hohe Glaubwürdigkeit. «Er ist ein Glücksfall für das Projekt», sagte Wodiunig. Der Islamunterricht richte sich nach dem offiziell anerkannten bayrischen Lehrplan, erklärte Neziri. Als Lehrmittel diene das 2009 mit dem «Best European School Book Award» ausgezeichnete Lehrmittel «Saphir». Behandelt würden Themen wie die Geschichte des Islams, aber auch Verbindungen und Unterschiede zum Christentum. «Wir behandeln zum Beispiel die zehn Gebote aus Sicht des Islams und aus Sicht des Christentums. Dabei stellt man fest, dass die Unterschiede nicht so gross sind», sagte Neziri. Unterrichtet wird in Deutsch. Es ist ihm wichtig zu betonen, dass der Koran nicht als Lehrmittel dient. «Wir sind keine Koranschule», sagt Neziri, der mit den Schülern auch Kirchen besucht.

 

Breit abgestützt

Der Islamunterricht an den Schulen ist breit abgestützt, neben der Stadt und der Schulgemeinde sind auch die katholische und die evangelische Kirche an Bord. Finanziert wird der Unterricht zu je einem Drittel von muslimischen Vereinen, über Elternbeiträge und über Spenden. Hier könnten sich langfristig bei anhaltend hoher Nachfrage auch Probleme auftun. Vorerst empfehlen Stadt, Primarschulgemeinde sowie der runde Tisch der Religionen, das Projekt fortzuführen.

 

Quelle: TZ, 29. September 2012